Vergangene Ausstellung
Unruhige Zeiten – Werke aus der Sammlung
21.06.2020 – 16.08.2020
Parallel zur Sonderausstellung „Otto Fried – Heaven can wait“, die auch im Zeichen der Flucht nach Amerika und seiner künstlerischen Karriere im Exil steht, präsentiert das Ludwig Museum eine Auswahl von Werken aus der eigenen Sammlung.
Leiden, Ausgrenzen, Erinnern – diese drei Oberbegriffe bilden den thematischen Rahmen der Präsentation „Unruhige Zeiten“ mit Exponaten aus der Sammlung des Ludwig Museums. Die ausgestellten Werke reflektieren auf unterschiedliche Weise den Umgang mit Schmerz, Folter, mit inneren wie politischen Grenzen, mit Exil, Trennung und Verlust und den Fragen des Umgehens mit Erinnerung. Die Arbeiten der Künstlerinnen Magdalena Abakanowicz, Pepa Hristova und der Künstler Christian Boltanski, Jochen Gerz, Pierre & Gilles, Patrick Raynaud, Milos Sobaïc sowie der Künstlergruppe Inspection Medical Hermeneutics (V/O Medhermeneutica) formulieren diese unterschiedlichen Facetten in ihrer je individuellen Ausdrucksweise und transformieren diese zudem in eine überindividuelle Sprache.
Fragen des Umgangs mit dem Erinnern an einzelne wie auch kollektive Schicksale sowie an Gräueltaten zeigen eindrucksvoll die Werke von Christian Boltanski, Magdalena Abakanowicz und Milos Sobaïc. Dass Erinnern sich auch in äußeren Dingen manifestieren kann, bezeugt Christian Boltanski in zwei ganz unterschiedlichen Arbeiten: In einem Schubladenschrank archiviert er selbst rekonstruierte Objekte, die ihn an bestimmte Momente seiner Kindheit erinnern lassen, wobei die Erinnerung im eigentlichen Akt der Rekonstruktion geschieht und der Betrachtende die beiden Ebenen (Rekonstruktion /Archivierung) erlebt. Wohingegen er in „Diese Kinder suchen ihre Eltern“ gleichsam das Motiv der Recherche mit dem der verblassenden Erinnerung in Beziehung bringt. Die Kausalität des Krieges und des Verlustes sind die zwei tragischen Ebenen der Arbeit, der er ein ordnendes, wissenschaftliches Prinzip des Kategorisierens zuordnet.
Die fast immer ausgesprochen beklemmenden Arbeiten von Magdalena Abakanowicz bezeugen Unterdrückung, Schmerz, Leid und Folter. Dem rein Individuellen setzt sie das Kollektiv entgegen, lässt ihre Torsi wie Armeen erscheinen, allerdings in ihrer zwiespältigen Ambivalenz von Gebrochenheit und Widerstand. Ihre „Armless Backs“ wirken wie Galeerensklaven und sind doch in der Masse der Leiber eine robuste, widerständige Formation.
Das russische Künstlerkollektiv Inspection Medical Hermeneutics (V/O Medhermeneutica) befasst sich mit in seiner „Partisanen“-Arbeit mit Wissensvermittlung und -speicherung mittels der unterschiedlichsten, in verschiedenen Sprachen abgefassten Bücher, von denen immer nur eine Doppelseite einsehbar ist. Die Bücher auf Sand, gleichsam in einem Sandkasten angeordnet, konterkarieren die traditionelle Bibliothek, reduzieren Wissen zu etwas Beliebigem und Eindimensionalem.
Jochen Gerz hingegen trägt in seinen Fotocollagen die Abgrenzung der innerdeutschen Grenzen zu Zeiten der DDR in zurückgenommener Schlichtheit vor. Der Betrachter sieht nur Natur und einen Hochsitz, der dem Jäger das stille Warten auf den Abschuss erlaubt. Die Konnotation zur Todeszone zwischen den beiden deutschen Staaten wird mit der Betextung und den roten wie schwarzen Tafeln, die aus „Ausradieren“ als Leerfläche veranschaulichen, deutlich.
Der Ausgrenzung des Intellekts hier und politische Ausgrenzung bei Pierre & Gilles Fotoarbeit „Le triangle rose (Laurent)“, in der es um die Stigmatisierung von Homosexuellen geht, aber auch um die Verfolgung, der diese vielerorts ausgesetzt sind, sind nur zwei der zahllosen Momente gesellschaftlicher Ausgrenzung und Abschottung. Pierre & Gilles arbeiten das Sujet mitikonografischen und historischen Motiven auf, überhöhen und übersteigern das Motiv des Verfolgten und Inhaftierten mit christlichen Motiven der Fürbitte (Kerzen), des Altarbildes und des Schmerzenmanns. Sie bietet in ihrer Lesart unmittelbare Anknüpfungspunkte an die große Foto- und Diaarbeit von Patrick Raynaud „Version Originale“ (1995), in der dieser Hans Holbeins d.J. berühmten toten „Christus im Grab“ von 1521 (Kunstmuseum Basel) durch sloganhafte Sprachnachrichten überblendet. Die Begegnung mit dem geradezu hyperrealistisch gemalten Leichnam, dessen radikale Darstellung vor Holbein nie denkbar gewesen wäre, paart sich hier mit den übergeblendeten, scheinbar kontextlosen Sprüchen aus dem Alltag und der Werbewelt. Raynaud öffnet damit den Blick auf den zeitgenössischen Umgang mit digitalen Medien, der Kombination, aber auch der Überschreibung von Erinnerungen, die in Momente des Flüchtigen einmünden.