Vergangene Ausstellung

Toyen – Surreal/ Radikal

07.05.2023 – 06.08.2023

Marie Čermínová/ Toyen (1902-1980) gilt als die bedeutendste tschechische Künstlerin des 20. Jahrhunderts. Die facettenreiche Malerin, Zeichnerin, Grafikerin und Dichterin war in ihren fast 60 aktiven Jahren Teil vieler Strömungen, die über den tschechischen Poetismus zum „Devětsil“ und vom Kubismus bis hin zum Surrealismus reichen.

Geboren 1902 in Prag, verließ sie ihr Elternhaus bereits im Alter von 17 Jahren, um in Prag zu studieren und sich den Boheme-Kreisen anzuschließen. Zwischen 1919 und 1922 studierte sie an der Hochschule für Angewandte Kunst, ohne einen Abschluss zu machen. Im Sommer 1922 lernte sie den drei Jahre älteren Dichter und Maler Jindřich Štyrský (1899–1942) kennen, mit dem sich eine langjährige Zusammenarbeit entwickelte. Um 1922 änderte die Künstlerin ihren Namen in das geschlechtsneutrale Pseudonym Toyen, eine Ableitung von französisch „citoyen“ (Bürger) und vermied damit die geschlechtliche Zuordnung ihres Namens.

Ihre künstlerische Karriere begann Toyen im Jahr 1923 mit der Beteiligung an der radikalen tschechischen Avantgarde-Gruppe „Devětsil (zu Deutsch „Pestwurz)“, gegründet am 5. Oktober 1920 von Karel Teige (1899–1951). Obschon die tschechoslowakische Gruppe vieles in ihrer Programmatik mit anderen Avantgarde-Bewegungen in Mitteleuropa – darunter italienischer und russischer Futurismus, Konstruktivismus, Bauhaus, De Stijl – teilte, verfolgte sie doch eine dezidiert politische Stellungnahme für den Marxismus. „Devětsil“ organisierte die Ausstellung „Basar der modernen Kunst“ (Dezember 1923), wo Toyen erstmals mit Bildern in kubistisch-futuristischem Stil vertreten war.  Ab 1925 verbrachten Toyen und Štyrský drei gemeinsame Jahre in Paris, wo sie 1926 in der „Galerie d’art contemporain“ ihre erste Einzelausstellung präsentierten. Außerdem beteiligte sich Toyen 1925 neben Hans Arp, Constantin Brâncuşi, Robert Delaunay, Theo van Doesburg, Max Ernst, Paul Klee, Fernand Léger, Joan Miró, László Moholy-Nagy, Piet Mondrian und Pablo Picasso an der wegweisenden Ausstellung „L’Art d’aujourd’hui“ (November 1925 – Februar 1926).

1930 kehrt Toyen nach Prag zurück. Sie entwickelt sich zunehmend vom abstrakt-kubistischen Stil der ersten Schaffensjahre hin zu einer persönlich definierten Ikonografie, die zwischen Realität und Imagination, Verführerischem und Abgründigen oszilliert. In ihrem Einstehen für die Bedeutung von Revolte, Traum, Erotik und Poesie näherte sie sich dem Surrealismus. 1934 ist sie Gründungsmitglied der Surrealist*innengruppe der ehemaligen Tschechoslowakei. Die persönliche Begegnung mit André Breton, der sie als »mon amie entre les femmes« bezeichnen wird, bestärken Toyen auf ihrem künstlerischen Weg und begründen ihre lebenslange Verbundenheit mit der Gruppe.

Als 1939 die Prager Surrealisten durch die „Protektoratsgesetze“ der deutschen Besatzungsmacht in den Untergrund getrieben werden, beschwören Toyens Werke die Sinnlichkeit des Hörens, Sehens und Fühlens in einer beängstigenden, isolierten Welt. Toyen und Štyrský erhalten striktes Ausstellungsverbot und tauchen unter. In ihrer winzigen Wohnung in Prag versteckte Toyen den jüdischen Dichter und Künstler Heisler und rettete ihn so vor der Ermordung.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten 1947 ließ sich Toyen endgültig in Paris nieder, da sie die Beschneidung ihrer persönlichen und künstlerischen Freiheit fürchtete. In Paris angekommen, wurde Toyen sofort von der neuformierten Surrealisten-Gruppe aufgenommen und eine ihrer wichtigsten Persönlichkeiten. Sie gehörte zu jenen Künstler*innen, die Breton als „Claqueure der Träume“ bezeichnete. 1953 erschien die erste Monografie über die Künstlerin, in der André Breton einen Beitrag schrieb und in dem er Prag als „magische Hauptstadt Europas“ definierte. Toyen geriet in den letzten 20 Jahren ihres Lebens in Vergessenheit und verstarb 1980 in Paris unbemerkt. Erst durch die Versteigerung ihres Nachlasses 1980 wurde ihr Werk einem breiteren Publikum wieder bekannt. Seitdem erzielen Toyens Arbeiten enorme Preise auf dem Kunstmarkt und werden international ausgestellt.

Die gegenwärtige Ausstellung versammelt erstmals sämtliche 35 Buchpublikationen sowie deren Illustrationen, die Toyen ab den 1940er Jahren bis zu ihrem Tode in Paris geschaffen hatte. Sie bezeugen exemplarisch Toyens Ruf und Suche nach Freiheit, politischer, sexueller und künstlerischer Identität und den Versuch, gesellschaftlich vorgegebene Grenzen zu überwinden.

Die Ausstellung wird ermöglicht durch Leihgaben des Kunstmuseum Ostrava sowie durch die generöse Unterstützung der Galerie Zdeněk Sklenář, Prag.

Toyen und Štyrský um 1931. Privatsammlung © Galerie Zdeněk Sklenář 2023

Toyen und Štyrský um 1931. Privatsammlung © Galerie Zdeněk Sklenář 2023

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