Vergangene Ausstellung

Anne et Patrick Poirier – Fragilité – zum 30-jährigen Jubiläum des Ludwig Museum

11.09.2022 – 30.10.2022

„Professor Peter Ludwig war einer der allerersten Sammler, der auf unsere Forschung aufmerksam wurde, als unsere Arbeit noch in den Kinderschuhen steckte und sich in Frankreich erst eine klassizistische Liebe zur Antike und ein romantisches Ruinengefühl entwickelten. Die von Wolfgang Becker organisierte Ausstellung, die uns unser Freund Ansgar Nierhoff 1973 im Museum Ludwig in Aachen präsentierte, war das erste wichtige Ereignis, das unserer Forschung ermöglichte, sich zu entwickeln. Professor Ludwig und seine Frau Irène haben nie aufgehört, unsere Arbeit zu unterstützen und unter den Bildern der alten Ruinen die Metapher der Konflikte zu erkennen, die Europa und die Welt erschüttert hatten, ein Thema, dem man sich in dieser Zeit, in der die Erinnerung daran noch schwer ist, noch immer schwer nähern kann. Der Zweite Weltkrieg war noch in aller Munde. Sie schenkten uns erneut ihr Vertrauen, indem sie uns 1992 erlaubten, die Arbeit Depot der Erinnerung und des Vergessens auf der Terrasse des Koblenzer Museums zu produzieren. Deshalb freuen wir uns sehr über diese Ausstellung, die das 30-jährige Bestehen des Museums markiert, und die der 54 Jahre gemeinsamen Arbeit und Wanderschaft unseres Paares“.
Anne und Patrick Poirier, Lourmarin, Mai 2022

Anlässlich seines 30-jährigen Bestehens hat das Ludwig Museums das Künstlerpaar Anne und Patrick Poirier zu einer umfangreichen Soloausstellung eingeladen, welche auf die Anfänge des Museums im Jahr 1992 verweist. Gleichzeit blickt die neue Ausstellung perspektivisch in die Zukunft indem sie die Anfang der 1970er Jahre geknüpften Verbindungen zu Professor Peter Ludwig, einem der ersten Sammler von Anne und Patrick Poirier, wieder aufleben lässt.
Die Zeitspanne einer Generation, die gewöhnlich mit 30 Jahren umschrieben wird, gibt Anlass, zu reflektieren, Fragen nach dem Erinnern und dem Vergessen zu stellen und eine Perspektive zu entwickeln, in der aus Erinnerung Zukunft werden kann. Was bleibt, was wird erinnernd erhalten, was wird aufgegeben, was tragen wir in die Zukunft und wie wollen wir diese aktiv gestalten?

Es sind Fragen, die auch das Museum als Institution berühren, als Ort, in dem Wissen und Artefakte gesammelt, ausgestellt und vermittelt werden. Wie sehen und begreifen wir Geschichte, wie unsere eigene Vergangenheit und Gegenwart – was wollen wir weitergeben in die Zukunft, die wir nur unzureichend gestalten können?

Das Thema ist hochaktuell. In vielen Ausstellungen und gesellschaftlichen Kreisen sind dies – in unterschiedlichen Facetten – die zentralen Fragen unserer Zeit, die darauf ausgerichtet sind, sich gesellschaftlich, politisch und ökologisch zu positionieren.

Bereits zur Eröffnung des Ludwig Museums im Deutschherrenhaus wurden zentrale Aspekte einer inhaltlichen Ausrichtung umschrieben: im historischen Kontext einer Stadt, die auf einen historischen Hintergrund mit Gründungen in römischer Zeit, aber auch auf eine bewegte Geschichte mit Frankreich während fast 300 Jahren zurückblickt. Das Ludwig Museum sollte als „Brückenbauer“ fungieren.

Darüber hinaus beheimatete die Sammlung von Anfang an auch wichtige Positionen aus Deutschland, Amerika sowie den Niederlanden, Skandinavien etc., wodurch eine Internationalisierung der Ausstellungspolitik bereits von Anfang an gegeben war. All diese Sammlungsaspekte wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich gefestigt und auf eine breite internationale Basis gestellt.

So kam es dazu, dass das bedeutende französische Künstlerehepaar Anne & Patrick Poirier im Jahr 1992 eingeladen wurde, eine monumentale Skulptur für den Außenbereich des Museums zu entwickeln. Mit Blick auf die inhaltliche Ausrichtung des zukünftigen Museums und vor allem als Plattform des Dialogs hätte die Wahl kaum passender sein können: Mit ihren Arbeiten treten Anne und Patrick Poirier stets für eine Reflektion über die eigene Zeit ein, die sie am Maßstab vergangener Zeiten erkunden. Dabei arbeiten sie wie Archäologen, die Schichten des Vergangenen freilegen, um das Jetzt und das Zukünftige zu begreifen.

Seit 54 Jahren entwickeln sie unterschiedliche visuelle und räumliche Metaphern, mit deren Hilfe sie die Aspekte des Erinnerns und Vergessens (als aktive hirnphysiologische und
emotionale Prozesse) in etwas Sichtbares und Nachvollziehbares transportieren. Bereits Sigmund Freud hatte diese Prozesse als mit einer in Trümmern liegenden Stadt verglichen. In dieser Hinsicht rührt das Interesse von Anne und Patrick an der Archäologie daher, dass sie sich seit ihren Anfängen der engen Verbindung zwischen Archäologie und Erinnerung, Erinnerung und Psyche bewusst waren.

Auf der historischen Mauerkrone, oberhalb des ersten (wahren) Deutschen Ecks des Deutschherrenhauses (die Komturei des Deutschen Ordens), positionierten sie anlässlich der Museumseröffnung ein monumentales Skulpturenensemble aus Marmorstein und poliertem Stahl, das den bedeutungsvollen Titel „Dépôt de mémoire et d’oubli“ erhielt.
In der für sie charakteristischen Weise inszenieren sie hier Geschichte als Fundstätte aus vergangenen Zeiten, die mit lateinischen, griechischen und deutschen Inschriften an das „Vergessen“, das „Erinnern“ sowie an die Vergänglichkeit der Sprache gemahnen, wie eine in Marmor eingravierte Inschrift verdeutlicht: „Worte sind wie Schatten“. Drei Blitze, die in die antiken Steine eingeschlagen sind, verweisen auf den Göttervater Zeus. Mythos und Geschichte verschmelzen, sind aber ihrerseits dem Vergessen anheimgegeben. Vergessen und Erinnern sind die beiden Pole, die sich durch ihr Werk als Reflektion der Menschheitsgeschichte mäandrieren.

Nicht nur die Theorien von Sigmund Freud (1856-1939) und Carl Gustav Jung (1875-1961) spielten eine wichtige Rolle in ihrer Arbeit, sondern auch die Schriften des französischen Historikers Paul Ricœur (1913-2005), Schöpfer des Begriffs der „narrative Identität“, sowie die von Jorge Luis Borges (1899-1986). Das 1966 erschienene Buch „The Art of Memory“ der britischen Historikerin Frances Yates (1899-1981) bestätigte Anne und Patrick Poirier in ihrer schon sehr frühen Intuition von der Existenz einer symbolischen Verbindung zwischen Architektur und Kultur als Phänomen der Erinnerung.

In der Ausstellung konzentrieren sich Anne und Patrick Poirier auf das Konzept der Fragilität, den roten Faden all ihrer Arbeiten, die sich um die Verwundbarkeit von Kultur, kollektivem und individuellem Gedächtnis, der Welt der Dinge und der Natur drehen. Sie zitieren die Antike nicht aus Nostalgie, sondern begreifen sie als zeitloses Phänomen, das immer wieder beobachtet, interpretiert und erweitert werden kann. Aus Erinnerung und Vergessen entwickeln sie die Idee der Fragilität unserer Existenz als permanentes Infragestellen des Zustands der Welt.

Für diese Ausstellung im Ludwig Museum im Deutschherrenhaus haben Anne und Patrick Poirier drei neue Werke geschaffen, die mit einer Auswahl von rund 25 Werken, die von ihrem Debüt bis heute reichen, vervollständigt werden.

Sie stammen aus deutschen Privatsammlungen sowie aus dem Atelier der beiden Künstler und wurden nie oder selten ausgestellt, wie „Caprarola“ von 1981 oder „Ostia Antica. Fouilles. Archéologie parallèle“ von 1971.

Das Ensemble offenbart, wie sehr ihre Arbeit mit der eigenen Geschichte, aber auch mit der vergangenen und gegenwärtigen Menschheitsgeschichte verbunden ist. Im Laufe der Jahrzehnte haben die beiden Künstler ein riesiges Formenrepertoire entwickelt, das sich in der Ausstellung widerspiegelt: Skulptur, Zeichnung, Fotografie, Schreiben, Zeichnen…

Das Erdgeschoss des Museums ist einer Auswahl von Werken gewidmet, die zeigen, wie Anne und Patrick Poirier schon immer das volle Potenzial mehrerer Techniken frei erkundet haben, um ihre Visionen zu verwirklichen. Sie zeugen auch von ihrer Faszination für die Welt der Psyche. Die „Stadt der Schatten“ wurde im Januar 2022 aus einem Traum von Anne Poirier geboren, dessen Haupt-darsteller ihr Sohn, Alain-Guillaume, der 2002 im Alter von 33 Jahren starb, ist. Aus der Tiefe ihres Wesens aufsteigend, zeigt dieser Traum von Anne Poirier, die sich schon seit ihrer Kindheit für das Unbewusste interessiert hat, wie sehr Leben und Arbeit für das Künstlerpaar eins sind. Dieses bewegende und meditative neue Stück ist von der Architektur der etruskischen Nekropole von Cerveteri in Italien inspiriert. Es zeugt zudem von Anne und Patrick Poiriers Experimentierfreude da sie hierfür die Fayence-Elemente zum ersten Mal selbst in ihrer Werkstatt in Lourmarin hergestellt haben.

Im ersten Stock erinnern zwei monumentale Installationen metaphorisch an den Zustand der Welt. „Odysseia“ bezieht sich auf die menschlichen Dramen, deren tragischer Schauplatz das Mittelmeer ist, wo so viele Migranten verschwinden. „Danger Zone. Archäologie der Zukunft“ bezieht sich auf die Gefahren, welche die Zukunft unseres Planeten bedrohen. „Odysseia“ ist ein Teil der Serie von „Danger Zone“, die kurz vor der tödlichen Explosion der AZF-Fabrik in Toulouse im September 2001 produziert wurde, und hat daher eine visionäre Dimension, die in vielen Werken des Paares präsent ist.
Das Werk von Anne und Patrick Poirier, das oft von einem gewissen Pessimismus durchdrungen ist, trägt auch einen utopischen Charakter und offenbart ihre Hoffnung auf die menschliche Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden und Herausforderungen zu meistern. Deshalb endet die Ausstellung mit „Montée vertigineuse“, entstanden 1982 für die Gruppenausstellung „Stadt und Utopie“ in der Kunsthalle Berlin, die Anne und Patrick Poirier für ihre Ausstellung in Koblenz aktualisierten.

Zur Ausstellung erscheint im Wienand Verlag ein umfangreich illustrierter Katalog mit Texten in deutscher und englischer Sprache von Anne und Patrick Poirier, Tony Cragg, Danielle March, Laure Martin-Poulet sowie Beate Reifenscheid.
Die Ausstellung wird unterstützt von der Peter und Irene Ludwig Stiftung, Aachen, vom L’Institut français, Ministère de la Culture, Berlin, vom Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Kultur Rheinland-Pfalz sowie vom Verein der Freunde des Mittelrheins Museum und das Museum Ludwig in Koblenz e.V.

Anne und Patrick Poirier, Dépôt de mémoire et d'oubli. Stätte der Erinnerung und des Vergessens, 1992 © Ludwig Museum Koblenz, VG Bild-Kunst Bonn 2022

Anne und Patrick Poirier, Dépôt de mémoire et d’oubli. Stätte der Erinnerung und des Vergessens, 1992 © Ludwig Museum Koblenz, VG Bild-Kunst Bonn 2022

Mieten

Jetzt anfragen