Mit kaum einem Thema hat sich Picasso mehr befasst als mit dem des Malers: Häufig formuliert er dies als Reflexion über das eigene künstlerische Handeln, als persönliche Bilanz, die er in der Kontinuität großer klassischer Meister inszeniert. Die Zitate und Anleihen sind deutlich, wenn man sich Picassos Auseinandersetzung mit Werken von Cranach, Tizian, Rubens, Velázquez oder Rembrandt vergegenwärtigt. Vor allem im Spätwerk aber erscheint die Reflexion über die Rolle des Künstlers zugleich als Lebensbilanz und nicht selten als ein kritisches Hadern mit dem Alter und dem Altern. So tauchen eine Reihe von Gemälden, Radierungen oder auch Zeichnungen ab den 1960er Jahren auf, in denen der in die Jahre gekommene Maler sich an den immer jugendlicher werdenden Aktmodellen delektiert, aber deren Schönheit für ihn unantastbar zu bleiben scheint. Der Kontrast zu dem sich als alt und hässlich interpretierenden Künstler, der in der Begegnung mit dem jugendlichen Körper voller Schönheit sich noch einmal aufrichtet und zugleich daran auch innerlich zerbricht, könnte kaum größer sein.
Bei der vorliegenden Bildfassung konzentriert Picasso sich ganz auf die Figur des Malers, der – soeben im unmittelbaren malerischen Prozess begriffen – kurz innehält. Wie es scheint, um über den hoch aufgereckten kleinen Finger Maß zu nehmen, ein imaginäres Ziel anzupeilen, das er womöglich alsbald auf die Leinwand transferieren wird. Alles konzentriert sich auf das Gesicht des Malers, insbesondere auf dessen Augenpartie, die stark stilisiert erscheint. In den porträthaften Zügen lassen sich Ähnlichkeiten zu Picasso selbst ausmachen, doch erinnern die Augen und vor allem der in säuberlich ondulierten Wellen formulierte Vollbart mehr an antike Porträtbüsten. Der breitkrempige Hut hingegen präludiert eher den zeitgenössischen Künstler wie auch den Bonvivant. Gerade dieser üppige Hut steht in Kontrast zu den eher hellen Gesichtszügen und vor allem zu dem nur leicht farbig lasierten Hintergrund. Auffällig bleibt jedoch die Konzentration im Blick des Malers, der vollkommen in seine Arbeit versunken wirkt, nicht ohne auch in dieser Verinnerlichung melancholisch zu erscheinen. Ebenso wie der Hut drängt sich der malende rechte Arm in den Vordergrund und erscheint beinahe wie eine Barriere gegenüber dem Betrachter. Kopf, Arm und rückwärtige Leinwand bilden eine Einheit, die die Außenwelt abschirmt. Nur der intensive Blick des Künstlers, der sich auf ein eigenes Ziel richtet, scheint diese Trennung zu überwinden. Letztlich jedoch verbleibt auch dieser in sich gekehrt und auf die eigene Welt der Kunst konzentriert.
Das Bild basiert auf dem Gemälde „Le peintre“, das Picasso am 30. März 1963 gemalt hatte und von dem er insgesamt 29 Reproduktionen im Oktober des darauf folgenden Jahres anlegt. Als Grundlage dient im dazu eine Farbreproduktion, die er dann jeweils mit zügigen Pinselstrichen mit Gouache und Tusche überarbeitet. Die Farbreproduktion ist deutlich kleiner als das jetzige Bildformat und noch gut als collagiertes Element in der Gesamtkomposition zu sehen. In der Sammlung Ludwig in Aachen befindet sich – als weitere Fassung und wie eine Ergänzung zu der vorliegenden Bildversion – das Bild „Maler und Modell“, das Picasso in Mougins zwischen November und Dezember 1964 schuf (vgl. Zervos XXIV, 312).
Werke in der Sammlung Ludwig Koblenz
Le Peintre au travail, 1964, Gouache und Tusche über Farbereproduktion, 97,5 x 74 cm, Dauerleihgabe Sammlung Ludwig, LM LG 1992/16
Audioguide Pablo Picasso – Le Peintre au travail: