Auch die mit Jean Tinguely liierte Francoamerikanerin Niki de Saint Phalle griff die Idee der Co-Autorschaft auf, um ihre damalige bildnerische Strategie der so genannten Tir Tableaux, mit denen sie zu Beginn der sechziger Jahre im internationalen Kunstbetrieb reüssiert hatte, in ein ‘Participation Piece’ zu transformieren. Im Pressetext der Edition MAT, in der Saint Phalles
»Schützenbild« 1964 herausgegeben wurde, hieß es lapidar: »Der Besitzer hat die Möglichkeit, durch mehr oder weniger gelungene Einschüsse sein Bild zu ‘komponieren’.« Diese Kompositionsoption hatte de Saint Phalle in einem undatierten Brief an den Herausgeber Karl Gerstner präzisiert:
Niki des Saint Phalle/Gebrauchsanweisung:
für’s ‘Schützenbild’ 1. Bild an einer Auswand [sic] anlehnen
2. Starkes Brett dahinter (zum event. Schutz der Wand)
3. Gewehr (22 Long Riffle) mit Kurzmunition laden
4. So lange schießen bis alle Beutel sich ‘ergossen haben’ (oder bis Ihnen das
Bild gefällt)
5. Aufpassen! Bild in der gleichen Position lassen – Bild gut trocknen lassen
UND dann immer noch aufpassen: denn es kann ein Farbrückstand quer fließen.«
Niki de Saint Phalles »Schützenbilder« entsprachen gänzlich dem von Spoerri vertretenen Konzept des aktiven Beteiligens des Käufers (bzw. Bildnutzers), dem der Veränderbarkeit und dem der Originalität. Zugleich lebte die Künstlerin ganz unterschiedliche Phasen der psychischen Befindlichkeiten aus, indem sie auch ihre Aggressionen in ihrer künstlerischen Arbeit aus leben konnte. Im Grunde konnte dies auch der neue Besitzer des Werkes erfahren, indem er – so die Idee – die performativen Schießaktionen der Künstlerin rein prinzipiell nacherleben konnte. Selbst die Ekstase des künstlerischen Schöpfungsaktes wird für den Betrachter in den Farbströmen manifest. Sie selbst beschrieb: »Nach jedem Schießen fühlte ich mich vollkommen stoned. Ich war total süchtig nach diesem makabren und freudigen Ritual.«
Werke in der Sammlung Ludwig
Tir (Schuss), 1965, In Gipsgrund eingelassene Farbbeutel zum Aufschießen, 72 x 54 x 7 cm, LM 1993/79-T 24.
Audioguide Niki de Saint Phalle – Tir: