Jean Dubuffet

Dubuffet gilt als der (Wieder-)Entdecker der inspirativen Kraft, die in Zeichnungen und Malereien von Kindern sowie sog. Naiven und geistig Behinderten liegt. Diese Quelle nutzend, experimentiert Dubuffet mit Mischtechniken aus Ölmalerei, Sand, Gips oder Teer, durch die er eine belebt raue Oberfläche erzielt. Mitte der 1940er Jahre prägt er den Begriff der Art brut. Nachdem er lange im Atelier von Mourlot gearbeitet hat, richtet er sich 1958 ein eigenes Atelier ein. Es entsteht der herausragende Zyklus Les Phénomènes (1958-1962).

La flamme de bougie

Nach 1962 entwickelt Dubuffet seine über zwölf Jahre sich erstreckende Serie Hourloupe, zellenartige Strukturen, die sich auf die Farben Rot, Weiß, Schwarz und Blau beschränken. Ende der 1960er Jahre überträgt er die grafischen Elemente der Hourloupe-Serie in die Skulptur. In diesem Kontext entsteht auch die Skulptur „La flamme de bougie“, in der er sein zeichnerisches System aus Umrisslinien und wenigen Schraffuren ins Dreidimensionale übersetzt und die Form eines gedrungenen Kerzenständers mit aufragender Kerze und mindestens gleichhoher Flamme nachempfindet.

Im Februar des Jahres 1975 beginnt Dubuffet mit den Serien Mondanité (Weltlüste) und Effigies incertaines (Unsichere Bildnisse), denen im Oktober die Beschäftigung mit der Serie Théâtres de Mémoire (Erinnerungstheater) folgt. Mit der letzteren wird er sich bis 1978 beschäftigen und nicht weniger als 94 große Leinwände schaffen. Symptomatisch für diese Serie ist das Prinzip der Collage, wobei diese wiederum häufig aus einer gleichmäßigen Tonalität der Farben besteht, so dass nicht selten auf den ersten Blick das Moment der Collage nicht hervortritt. Es sind vielmehr unterschiedliche Blätter, auf denen Dubuffet zumeist vollkommen ungegenständliche Krakeleien, Schraffuren und Linienknäule entwirft, die selbst in der Collage das eine mit dem anderen kaum zu verbinden scheinen. Dubuffet, der sich hier mit Erinnerungsmomenten auseinandersetzt, sucht in diesem Prinzip der Collage zugleich eines der Gleichheit von Orten, so als seien in der Erinnerung die Konturen und Schärfen verschwunden, und nur gelegentlich ragen einzelne Versatzstücke aus dem Gedächtnis heraus. Dubuffet lässt die Flächen tanzen, wenngleich er in der Struktur der einzelnen zeichnerischen Elemente sowie in der moderaten Koloristik, die sich über alle Partien seiner Collage erstreckt, das Gemälde scheinbar beruhigt.

Effigie et son site

Im Zentrum – durchaus ungewöhnlich für die Arbeitsweise Dubuffets – taucht eine einzelne Figur auf, die beinahe an einen grinsenden Clown, an eine anachronistisch wirkende Figur aus einem anderen Kontext erinnert. Sie erscheint völlig isoliert als Person, nicht jedoch innerhalb des bildnerischen Kontinuums, das seinerseits die Farbigkeit weiter fortsetzt und variiert. So werden gleichermaßen die Collageelemente wie auch das bildgreifende all over-Prinzip (eines Jackson Pollock) zur flächigen Egalisierung des malerischen Duktus eingesetzt. – Dubuffet legt für jedes seiner Théâtres de mémoire-Werke präzise Vorstudien an, nummeriert jedes einzelne seiner Collageteile und ordnet sie dann in Studien zunächst an, bevor er sie exakt übernimmt. Nichts wird dem Zufall überlassen. Dubuffet selbst betont, dass er diesen Prozess an den Théâtres de mémoire wie eine Neuordnung dessen versteht, was im Leben wichtig war und ist. Deshalb gleichen diese Werke auch jener Kakofonie der Erinnerungen, die das Denken tagtäglich aufs Neue beeinflussen.

Werke in der Sammlung Ludwig Koblenz

La flamme de bougie, 1968, Geschnittenes Polyurethan, bemalt 95 x 39 x 31 cm,  Inv. Nr. LM 2012/2

Effigie et son site, 1976, Mischtechnik, Papier auf Leinwand maroufliert, 203,5 x 213 cm, Inv. Nr. LM 1992/29

 

Audioguide Jean Dubuffet – Effige:

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