Hervé Di Rosa

Hervé Di Rosa gilt neben François Boisrond, Robert Combas und Rémi Blanchard als einer der wichtigsten Vertreter der Figuration libre. In Frankreich, aber auch in den USA, gelangt Hervé Di Rosa zu großem Ansehen. Mit dem 1986 entstandenen quadratischen Bild „La vie des pauvres“ entwickelt er in Bildfeldern – hier ausnahmsweise ohne Text – das von Armut, Krankheit, Arbeit, Drogen und Tod gekennzeichnete Leben eines geplagten „armen“ Anti-Helden.

Der Betrachter kann verfolgen, wie ihn dessen Wecker in einem einfachen Zimmer um 5 Uhr morgens aus dem Schlaf klingelt, wie er sich an einen schmucklosen Tisch schleppt , wo er mit Leidensmiene ein karges Mahl einnimmt, bevor er sich in die Reihe der Arbeiterkollegen vor dem Fabrikgebäude einfügt. Er kann weiterhin in der unteren Bildzeile von links nach rechts ablesen, wie die Figur unter Tage mit der Schaufel in der Hand vom wohlbeleibten Vorarbeiter oder Chef mit warnend erhobenem Zeigefinger angetrieben wird, bis er endlich nach Feierabend – erschöpft allein am Straßenrand sitzend – seinen Frust mit Alkohol betäuben kann. Doch der Tod eines nahen Verwandten – vielleicht eines Elternteils – wirft ihn aus der Bahn und er trinkt sich auf seiner Pritsche sozusagen „ins Koma“. Dies erzählen die kleinen grüntonigen, aus der Distanz wie getuscht wirkenden Bildfelder in der oberen und unteren Reihe. Sie sind sämtlich durch eine schwarze Linie eingefasst, an deren Rand zuweilen eine hellblaue Unterlegung aufscheint. Ein braungestrichelter Rahmen trennt die Bildfelder voneinander. Den Beginn markiert das linke, obere Bildfeld, in dem der Bildtitel auf collagierter Pappe geschrieben steht und die Signatur des Künstlers wiederum ausgeschnitten ist.

Zum geschilderten stumpfsinnigen Dasein des Protagonisten passt die auf Grün- und Brauntöne reduzierte Farbigkeit: In der Mitte bietet Hervé Di Rosa ein „Panorama der Schrecklichkeiten“, das – vor dem Hintergrund der abermals aufragenden Fabrikmauer – geprägt ist von Tristesse, Dummheit und dem Fünkchen Hoffnung auf ein besseres Leben, dem sich auch der Protagonist nicht verwehren kann. Inmitten der Versammlung von speienden, nach einem „Schuss“ Heroin auf Besserung wartenden, schreienden, genervten Menschen und vor sich hin faulenden Tierkadavern lenkt er sich mit einer kaum bekleideten „Dame“ – erfolglos – ab.

Obwohl natürlich der Aufenthalt Di Rosas zu Beginn der 1980er Jahre in New York mit der Pop Art-, Graffiti-, Street Art- und Hip Hop-Szene prägend war, rückt mit dem zum Ludwig Museum gehörigen Bild formal auch das klassische Altarretabel in den Blick. Es erinnert in der Komposition überdies an Hungertücher der Fastenzeit und in der Drastik der Darstellung an bedeutende sozialkritische deutsche Zeichner aus der Zeit der beiden Weltkriege, nämlich Georges Grosz und Otto Di.

Werke in der Sammlung Ludwig Koblenz

La vie des pauvres, 1986, Öl auf Leinwand, 155 x 155 cm, Inv. Nr. LM 1992/45

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