Das Frühwerk Frank Stellas entsteht in Princeton, wo Frank Stella 1958 sein Studium beendet, bevor er am Ende desselben Jahres noch nach New York zieht. Es umfasst – um der Kategorisierung von Lawrence Rubin, dem damaligen Präsidenten der New Yorker Knoedler Gallery, zu folgen (1986) – das Student Workder Zeit bis 1957 und die Pre-black Paintings des Jahres 1958. Einem Schreiben von Lawrence Rubin zufolge war das zur Sammlung gehörige Werk unmittelbar nach dem Studienabschluss von Frank Stella bei einer Theateraufführung in der Universität gemeinsam mit Zeichnungen erstmals ausgestellt. Das Querformat weist mehrere Schichten auf, die durch eine Collage von Pappe, Papieren und Zeitungsausschnitten von unregelmäßiger Kontur entstehen. Die durch den teilweise nur losen Verbund mit der Leinwand Räumlichkeit erzeugenden Staffelungen erhalten eine kompositorische Verbindung durch die übergreifenden, in gedeckten Tönen gehaltenen Rot-, Blau- und Grünabstufungen und den in Schwarz gestisch ausgeführten Farbauftrag.
Besonders auffallend ist zum einen das im rechten oberen Bildviertel dunkelrot ausgefüllte Binnenareal, das aus dem aufliegenden ockerfarbenen Papier geschnitten wurde. Die Kreisform wird noch einmal durch den energisch ausgeführten schwarzen Pinselstrich in einigem Abstand unregelmäßig umzirkelt. Zum anderen richtet sich der Blick auf das Bildviertel links unten, in dem zwei vertikale Rechteckformen auftauchen, die ebenso aus ockerfarbenem Papier herausgeschnitten und mit dunkelroter Farbe ausgefüllt sind. Darüber hat Stella einen Papierstreifen diagonal collagiert, der mit schwarzer Farbe aufgegriffen und fortgeführt wird, so dass der Pinsel dem Rand des collagierten Papiers nachfährt. Auch am unteren Rand sowie links wird der Karton farblich eingefasst. Es entsteht die Assoziation an ein Haus und damit – unter Einschluss der übrigen Kompartimente der Komposition – an eine Landschaft.
Die Farbpalette des Querformats erinnert an Farbkonstellationen, die Robert Motherwell nach seinem Aufenthalt in Mexiko 1941 bevorzugt wählt: „… kalkiges Weiss, Schwarz, gelbes Ocker, Blau, Zinnoberrot.“ (in: Thierolf 2001, S. 287). Es ist unter anderem Motherwell, mit dessen Werk sich Stella intensiv auseinandersetzt. Aus dem Jahr 1959 datiert etwa auch dessen „New York City Collage“ (Denver Art Museum), in der in einem collagierten Papier ein vergleichbar runder Ausschnitt ausgespart ist.
Bislang wird das Werk des Ludwig Museums um 1958 datiert. Dieses Jahr ist für Frank Stella das wohl entscheidendste seines Lebens: Er findet 1958 zu seiner individuellen, die Hard-Edge-Malerei einleitenden Bildkonzeption, indem er auf großen Formaten breite schwarze Streifen in gleichmäßig engem Abstand in horizontalen oder vertikalen Reihen malt. Um jeglichen individuellen Duktus zu vermeiden, verwendet er Anstreicherfarben und -utensilien. Es ist die erste von vielen, im Verlauf der folgenden Jahrzehnte immer wieder neu erfundenen Serien: die Black paintings. Bis heute basiert seine Kunst auf diesem einmal eingeschlagenen künstlerischen Weg, der ihn nach den in Princeton verbrachten Studienjahren zugleich von jeglichem Gegenstandbezug und von der Auseinandersetzung mit Werken der Vorbilder Hans Albers, Hans Hofmann und Arshile Gorky wegführt. Auch gestische Bildfindungen der Abstrakten Expressionisten, wie Willem de Kooning und Jackson Pollock, sowie der Farbfeldmalerei eines Barnett Newman und Robert Motherwell treten als Vorbilder zurück. 1958 ist auch das Jahr, in dem Stella die erste Einzelausstellung von Jasper Johns besucht. Dieses Erlebnis ist für ihn von großem Einfluss, der vielleicht auch für das vorliegende Werk bereits eine Rolle spielte. Es ist schließlich aber auch die Zeit, in der Stella sein Studio mit Carl André teilt.
Insgesamt entstehen 1958 etwa 30 Werke, von denen ein Teil 1986 durch Lawrence Rubin veröffentlicht wurde. Erst jüngst sind mit dem 2006 erschienenen Katalog, der sich ausschließlich auf das Schaffensjahr 1958 bezieht, alle Arbeiten dieses Jahres aufgeführt – ausgenommen diejenigen, die verloren oder nur in Schwarz-Weiß-Fotografien überliefert sind. Das zur Sammlung Ludwig gehörige Werk ist jedoch weder in der einen noch der anderen Publikation genannt.
Es ist festzustellen, dass sämtliche Werke, die in das Jahr 1958 datiert werden, eine in Farbstreifen aufgeteilte Komposition aufweisen. Ein Teil trägt dabei noch an Landschaften orientierte Titel. Das dem Ludwig Museum zugehörige Werk weist aufgrund der rechteckigen, quadratischen und runden Formen, der Koloristik sowie der Nähe zu Landschaftsformationen dagegen vielmehr Verwandtschaft zu Stellas sogenanntem Student Work der Jahre 1954 bis 1957 auf. Zwar gibt es aus dem Jahr 1958 auch drei Assemblagen der Sammlung Darby Bannard in Miami, aber sie weisen einen deutlich objekthafteren, barocken Charakter auf, der im Grunde schon auf die Polish Village Seriesund die Exotic Bird Seriesder 1970er Jahre vorausweist. Insofern erscheint für das zum Ludwig Museum gehörige Werk nicht nur eine Einordnung in das Jahr 1958, sondern auch eine Datierung in die Zeit vor 1958 plausibel.
Werke in der Sammlung Ludwig
ohne Titel, um 1958, Mischtechnik auf Leinwand, 124,5 x 184 cm, Inv. Nr. LM 1992/1
Audioguide Frank Stella – Untitled: