Christian Boltanski

Der französische Künstler Christian Boltanski hat die Frage nach der Wahrnehmung von Vergangenheit zum Hauptthema seines künstlerischen Schaffens gewählt. Er wandte sich in seinen künstlerischen Konzeptionen zunächst der Spurensicherung der eigenen Kindheit sowie den Lebensspuren fremder Personen zu. Zu diesen frühen Manifesten seines Schaffens zählt auch der aus Weißblech gestaltete Schubladenschrank, in den Boltanski Zeitfragmente seiner eigenen Kindheit (zwischen 1948 und 1954) gleichsam nachkonturiert. In gleichermaßen exakt datierten, wiewohl fiktiv arrangierten Erinnerungsmomenten sucht er mit Hilfe von Plastilin, Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmungsrealität nachzugestalten und ihnen damit Dauer zu verleihen. Anhand von scheinbar einmal gewesenen Gegenständen, wie der „Jacke, die Christian Boltanski 1941 getragen hat“ oder dem „Zirkel, den Christian Boltanski 1953 besessen hat“, wird mit dem vollkommen materialfremden Plastilin eine erinnerte Realität hergestellt und heraufbeschworen, wobei diese wiederum in der kindlichen Struktur der Nachahmung ihrerseits als Erinnerung dekuvriert wird. Im Akt des Nachgestaltens wird nicht Wert auf Präzision gelegt, sondern vielmehr eine vermeintlich kindliche Handschrift, mit allen Spuren eines ungelenken Knetens und Modellierens, kultiviert. Das Kindliche dabei sucht eine optische Angleichung an die kindliche Erinnerungsphase, wohingegen die Vermerke: „1. Schublade: Versuche am 6. Dezember 1970, in Modellierwachs einen Pfeil zu rekonstruieren, den …“ eine saubere Inventur nach wissenschaftlicher Erwachsenen-Präzision suggeriert. Die eigene Biografie wird dadurch nicht nur heraufbeschworen, sondern zugleich in ihrer kindlichen Brechung und fragilen Erinnerbarkeit anschaulich gemacht.

Werke in der Sammlung Ludwig

ohne Titel, 1970/71, Schubladenschrank aus Aluminium, Modellierwachs 75 x 59 x 39 cm,  Inv. Nr. LM 1992/ 24

Audioguide Christian Boltanski – Diese Kinder (Sound-Designed) V2:

 

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