Bernard Schultze

Treibende Kontinente

Die „Treibenden Kontinente“ gehören zu Schultzes frühen informellen Gemälden, die sich von der zweidimensionalen Bildfläche zu lösen beginnen und in den Raum hineinwachsen. Bernard Schultze gilt, wie Emil Schumacher oder K.R.H. Sonderborg, als ein Hauptvertreter des deutschen Informel. Bereits ab 1951 entstehen seine ersten informellen Bilder. Im darauf folgenden Jahr, 1952, beteiligt er sich an der Ausstellung der von ihm mitbegründeten Künstlergruppe Quadrigain der Zimmer Galerie Franck in Frankfurt am Main. Sich von Figuration und formalistischer Abstraktion zu lösen und den Anschluss an die internationale Avantgarde von Action Painting und Tachismus zu finden, ist das Ziel der Gruppe. Mit seiner gestisch-expressiven Malerei hat sich Schultze in den 1950er Jahren einen ganz eigenen Stil erarbeitet, wobei vor allem die Malerei von Riopelle und André Lanskoy anregend wirkten. Seine Bilder, wuchernde Landschaften mit reliefartigen Überlagerungen der Farbschichten, scheinen eine Fülle von narrativen Möglichkeiten in sich zu bergen.

In einer betont spontanen Malweise, in der er die dunklen, erdigen Farben und Formen zu Farbflächen übereinander schichtet und miteinander verschränkt, entstehen so die ersten tachistische Werke. Schultze beschreibt seine Arbeitsweise folgendermaßen: „So fang ich immer an zu malen. Ich weiß vorher nichts. Und dann dreh ich es (das Bild übereck) um. Und dann langsam füllt es sich und dann kommen natürlich Kontrollen und Korrekturen. Ich mal dann so – es entsteht so, ich weiß dann selber nicht … Mich interessiert nur, dass es formal …, da muß es stimmen.“ (zitiert in: Ausst.-Kat. 1991, S. 24) Mit Pappe, Kordeln, Stofffetzen und pastoser Farbe modelliert Schultze in seiner Arbeit „Treibende Kontinente“ schollenförmige Farbflächenschon graduell in die Dreidimensionalität hinein. Das Werk deutet damit den Weg an, den er mit seinen späteren Reliefbildern einschlagen und den daran anschließenden Migofsauf die Spitze treiben wird. Er verfolgt dabei – wie er selbst sagt – den „Übergang ins Plastische … eine Form von Gesamtkunstwerk.“ (a.a.O., S. 24)

Der Kriegsgott zerfällt

Nahezu dreißig Jahre später entsteht die großformatige und zugleich zarte Papiercollage „Der Kriegsgott zerfällt“. Die detailreich und akribisch hergestellte Collage mit plastischen Einklebungen bewegt sich in den Raum und ist geprägt von fein ziselierten Liniengeflechten. Die minutiöse Arbeitsweise, die mit fein gesetzten Strichen beginnt, die dann langsam anfangen sich zu entfalten, um sich zu greifen, ja geradezu zu wuchern, und der sehr persönliche Stil des Malers lassen sich hierin genau ablesen. Die vorher fein nuancierte, gebrochene Farbigkeit besticht nun mit hellen Farbklängen: Die abstrakt-surrealistische Formenwelt implodiert zu lichten, barock anmutenden Räumen. Das „Sich-treiben-Lassen“ wird zu einem Grundprinzip für Schultzes Malerei. André Bretons programmatischer Satz vom „Diktat des Unbewussten“ und die im Surrealismus kaum eingelöste écriture automatique bestimmen längst Schultzes künstlerische Arbeit. Nicht das Kalkulierte, Vorbedachte soll zum Bild gerinnen, sondern der spontane Strich und seine sich daraus ableitenden vielfältigen Assoziationen. Der Automatismus, das heißt das Ausschalten des Gesetzes zu Gunsten des Zufalls, soll ein neues Bildfeld freilegen. Doch die Entscheidung für den Zufall bedeutet nicht, sich dem Beliebigen zu überantworten. In „Der Kriegsgott zerfällt“ scheint beides angelegt zu sein: Das Wuchern und Wachsen und zugleich die Idee des Zusammenbruchs, der augenblicklich bevorsteht. Als Geschenk des Künstlers anlässlich des 60. Geburtstags von Peter Ludwig steht das Werk auch für die besondere persönliche Beziehung von Künstler und Sammler.

Werke in der Sammlung Ludwig

Treibende Kontinente, 1953, Öl, Hartfaserplatte und Collage aus Pappe, Kordel und Textilien, 116,7 x 117,3 cm, Inv. Nr. LM 1992/52

Der Kriegsgott zerfällt,1985, Papiercollage und Filzstift, 72,5 x 102 cm, Inv. Nr. LM 1992/32

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