1966 zieht Bernar Venet nach New York und lebt dort zunächst im Studio von Arman. Geleitet von der von ihm entwickelten Idee der Monosomie, dass der Code eines Kunstwerks aus sich selbst heraus verstanden werden müsse, also ungeachtet des Materials, des Mediums oder Genres, will er diesen Grundsatz auch jenseits seiner „tubes“ (Röhren) entwickeln und überprüfen. Nach dem Modell der Werkzeichnung seiner tubes beginnt er, Schwarz-Weiß-Fotos anzulegen, die in vergrößerter Form mathematisch-geometrische Formeln, später auch komplexe physikalische Rechnungen wiedergeben. Bernar Venet entdeckt in ihnen eine abstrakte Schönheit, die sich mit minimalistischer Kunst gleichsetzen lässt.
In „Numerical Solution“ greift Bernar Venet eine äußerst komplexe Formel auf, die er bis ins letzte Detail auf eng liniertes Papier abschreibt – nicht ohne unbeabsichtigt einen Fehler einzubauen, wie er einmal gestand. Anders als bei einer reinen Formel ist für Venet jedoch auch der Titel der Arbeit, der immer mit notiert wird und im Bild erscheint, substanzieller Bestandteil der künstlerischen Arbeit. Jenseits des ästhetischen grafischen Aspektes bleiben – so Venets These – alle Gedanken des Betrachters im Bild selbst verhaftet, da es auf nichts Anderes verweist als auf sich selbst. „Wie in Tube wird der Geist des Betrachters durch die einer Sackgasse oder einer Endlosschlaufe gleichenden Beziehung zwischen visuellen und schriftlichen Elementen vor Konnotationen bewahrt.“ (McEvilly 2003, S. 24.) Bernar Venet sieht sich hier ganz in der Tradition von Marcel Duchamp, den er persönlich noch kennengelernt und dessen Auffassung von Kunst ihn maßgeblich beeinflusst hat. Gerade Duchamps Idee ist es, die Kunst wieder stärker an die Naturwissenschaften zu binden. Venet lernt in seiner ersten Zeit in New York auch den Astrophysiker Jack Ullman von der Columbia University kennen, dessen Vorträge über theoretische Physik er in der Zeit von 1967-1970 auf Band aufzeichnet.
„Moon-Kasette“ – Mit dem Tonbandgerät, das er auf einen für Skulpturen vorgesehenen Sockel stellt, und Diaprojektionen, von den im Vortrag diskutierten mathematischen Formeln, stellt Bernar Venet diese Einheit von Formeln und Inhalt wieder her. Gleich seinen „tubes“ sind sowohl die Sprachaufnahmen als auch die Formeln völlig autonom, mit der gleichen inneren Struktur. Venet ist es wichtig, die eigene Sprache, Handschrift und Sensibilität aus dem gesamten Schaffensprozess mehr und mehr herauszunehmen.
Werke in der Sammlung Ludwig
Numerical Solution, 1967/68, schwarze Tinte auf Millimeterpapier, 110,3 x 335 cm, Sammlung Ludwig Museum Koblenz, Inv. Nr. LM 2012/7
Moon-Kassette, 1968, 9 Fotos, Rekorder mit besprochenem Tonband, 27 x 52 x 16 cm, Sammlung Ludwig Museum Koblenz, Inv. Nr. LM 1993/79-T 29
224.5° Arc x 5 et 225° Arc x 5, 2007, Corten-Stahl, 410 x 415 x 90 cm, Sammlung Ludwig Museum Koblenz, Inv. Nr. LM 2011/2
Audioguide: