Gabrielle d’Estrée
Der Siebdruck auf Leinen von Alain Jacquet gibt den Blick auf zwei junge Frauen frei, die in einer Badenwanne sitzen und ganz ungeniert dem Betrachter entgegenschauen. Die Vorlage dieses Motivs lässt sich eindeutig als Foto ausmachen, das seinerseits – sicherlich nicht ohne Absicht – stark überbelichtet wurde. Gesteigert auch durch das noch einmal die Nuancen vereinfachende Siebdruckverfahren, verschmelzen einige Konturen: Dies betrifft vor allem die Körperkonturen der links Sitzenden sowie insgesamt die plastischen Effekte. Durch die verschiedenen Siebe entstehen jedoch zuweilen Farbüberlagerungen und vor allem die Betonung einzelner Partien, insbesondere der Brüste und des Schambereichs. Durch diesen Effekt ist „Gabrielle d´Estrée“ auch den früheren Camouflages von Jacquet vergleichbar, auf denen das gedruckte Muster den Bildgegenstand einfach überzieht und damit gleichsam absorbiert. Hinzu kommen die grellen Farben, die eindeutig die Koloristik der Pop Art aufgreifen und mit den sichtbaren Rasterpunkten des Siebdrucks zugleich eine visuelle Assoziation von Printmedien und deren beliebiger Reproduzierbarkeit nahe legen. Dem widerspricht scheinbar jener direkte Blick der jungen Frau, die, mit Lockenwicklern „gekrönt“, sich unmittelbar an den Betrachter wendet, so dass dieser unweigerlich zum Voyeur einer an sich intimen Szene wird. Alain Jacquet bedient sich hier – wie an einigen vorhergehenden Beispielen ablesbar – bewusst historischer Bildwerke, die von hoher ikonografischer Präsenz sind. Vollkommen neu interpretiert und zeitgenössisch inszeniert, zitiert Alain Jacquet (seiner Mec’ Art folgend) hier das berühmte Bild eines unbekannten flämischen Malers, das sich im Louvre befindet: „Gabrielle d’Estrée et sa sœur la duchesse de Villars“ aus der berühmten Schule von Fontainebleau. Die historische Vorlage soll Gabrielle d´Estrée, die Geliebte Heinrichs IV., mit ihrer Schwester zeigen. Beide Damen sitzen im Bade und die jüngere Schwester greift Gabrielle bedeutungsvoll an ihre rechte Brustwarze. In der Forschung nimmt man an, dass diese Geste auf die Schwangerschaft Gabrielles hindeuten soll. Wenngleich Jacquet dieses Bild als Zitat „unterlegt“, bleibt die dargestellte Szene bei ihm fast völlig „unaufgeladen“, eher entspricht sie einer nahezu alltäglichen Situation, umgeben von sehr banalen Gegenständen und mit einer recht präzisen Datierung, die anhand des Interieurs gelingt.
Saute Mouton (der Bocksprung)
Vollkommen anders als das Werk „Gabrielle d´Estrée“, das nur ein Jahr zuvor entstanden ist, handhabt Alain Jacquet „Saute Mouton“ (den Bocksprung). Als Unikat angelegt, scheint jedoch auch dieses Werk aufgrund seiner großen Rasterpunkte dem Druckverfahren zu entstammen und legt die Vermutung von Vervielfältigung bewusst – aber irreführend – nahe. Diesmal sind es drei Plexiglasscheiben, auf denen Jacquet jeweils eine Farbe aufbringt, so dass sie, hintereinander aufgestellt, zu einer farbigen Bildeinheit verschmelzen. Der Arbeit liegt auch hier wieder ein Foto zugrunde, das durch starke Vergrößerungen in seine Rasterpunkte aufgelöst wurde. Die hellsten Punkte verschwimmen ineinander, andere hingegen wirken sehr grobkörnig, so dass die einzelnen Bildtafeln vollkommen abstrakt erscheinen. Nur im Zusammenschluss der drei Farbtafeln kann man allmählich das sportliche Motiv entziffern. Alain Jacquet geht es nun nicht mehr nur um die Camouflage schon bekannter Motive, sondern vor allem um eine Auslotung der Möglichkeiten von figurativer, abstrakter und serieller Malerei, die sich weitgehend autonom in eine völlig neue Richtung bewegt. So betont er auch: „All meine Arbeit handelt davon Bilder verschwinden zu lassen. Dies ist eine visuelle, formale Sache – dahinter steht keine tiefgreifende Philosophie und ich kommentiere keinen Fotojournalismus. Ich bin davon fasziniert, wie ein Bild in seine kleinsten abstrakten Elemente heruntergebrochen werden kann, die, vergrößert, dann als bildnerisches Bild wieder erscheinen.
Werke in der Sammlung Ludwig Koblenz
Gabrielle d’Estrée, 1965, Siebdruck auf Leinwand, 115,5 x 160,5 cm, Inv. Nr. LM 1992/3
Saute Mouton, 1966, Aufsatz aus drei Plexiglasscheiben, mit Acrylfarbe besprüht, 185,5 x 122,2 x 15 cm, Inv. Nr. LM 1992/4
Audioguide Alan Jaquet – Gabrielle: